VÖWG: Emissionshandel weiter in den Kinderschuhen – sektorale Balance ein Muss

Der Preis europäischer CO2-Zertifikate ist zum Ende der zweiten Handelsphase (2008-2012) eingebrochen. Bewegt sich deren Kurs weiter auf so niedrigem Niveau, gehen die ökonomischen Anreize zum Klimaschutz verloren. KritikerInnen des Europäischen Emissionshandelssystems (ETS) machen ein Überangebot an Emissionsrechten infolge der Wirtschaftskrise dafür verantwortlich. Die dritte Handelsphase (2013-2020) laufe dadurch Gefahr, verzerrt zu werden. Dazu kämen technische Faktoren (Fehleinschätzungen, NER300-Initiative), instabile Konjunktur inmitten der Schuldenkrise und ein Boom in der Produktion von erneuerbaren Energien und Gas nach Fukushima. Auch habe die EU das ETS noch nicht mit ihren Energieeffizienzpolitiken abgestimmt.

Im Zentralverband der öffentlichen Wirtschaft Europas (CEEP) besteht weitestgehend Einigkeit, dass der Emissionshandel in der EU – der Theorie nach gleichermaßen ökonomisch effizient, doch ökologisch zielgenauer als eine Pigou- oder Umweltsteuer: Die Europäische Kommission geht von einer Halbierung der volkswirtschaftlichen Vermeidungskosten von sieben auf jährlich 3,7 Mrd. EUR aus – gerechterer Gestaltung bedarf. Derzeit sind nur rund 50 Prozent aller CO2-Emittenten oder 11.500 Anlagen umfasst. 2012 soll die zivile Luftfahrt, 2013 Aluminiumhersteller sowie diverse petrochemische Anlagen hinzukommen. Bereiche wie die Landwirtschaft und Verkehr sind aber weiterhin geringer belastet, was Asymmetrien zur Folge hat. Im Zuge der Herstellung von Importwaren verursachte CO2-Emissionen finden auf absehbare Zeit noch gar keine Berücksichtigung.

Der VÖWG kämpft daher seit Jahren für den Schutz lokaler Energieerzeugungsanlagen und plädiert für eine de-minimis-Regel, um eine vielfältige Produktion zu erhalten. Darüber hinaus gibt die Interessenvertretung des öffentlichen Verkehrswesens zu bedenken, dass Güter- und Personenstraßenverkehr als Hauptverursacher nicht vom ETS, sondern von den jeweiligen nationalen Quoten des Effortsharing umfasst sind. Doch selbst vor diesem Hintergrund bleibt die Herstellung akkurater Knappheit für eine stabile Preisentwicklung das zentrale technische wie politische Problem.

Dass es sich um keinen konventionellen Gütermarkt handelt, ist aus Sicht der Öffentlichen Wirtschaft unstrittig. Schon die Anpassung des Angebots folgt wegen der vorerst bis 2020 festgelegten Leitlinien nicht den Kriterien des freien Markts. Dennoch stellt ein Cap-and-trade-System ein marktbezogenes Instrument dar: Einerseits besteht jedoch, wie im CEEP seit langem diskutiert, angesichts relativ kurzer Handelsphasen und langer Investitionszyklen von 15 bis 30 Jahren keine Investitionssicherheit im betriebswirtschaftlichen Sinne. Dies lässt vor allem rein nach Gewinnmaximierung trachtende Privatinvestoren nicht unberührt. Andererseits führen politische Interventionen (vgl. Mindestpreise, zentralbankähnliche Verwaltungsstelle etc.) nicht automatisch zu mehr Vertrauen auf dem Markt.

ExpertInnen von IHS, EVN und Greenpeace setzen daher auf die Auktionierung aller Zertifikate anstelle der kostenfreien Zuteilung nach historischen Emissionswerten oder anderen Benchmarks. Diese würden Zufallsgewinne von Investoren verhindern. Der bereits etablierte Sekundärmarkt wird hiervon nur in seiner Liquidität berührt. Auch die Kommission verspricht sich ab 2013 – durch Auktionierung von im Schnitt 50 Prozent aller Emissionsrechte – jährlich 30 bis 50 Mrd. EUR sowie eine effektivere „Primärallokation“. Der VÖWG fordert entschieden, dass diese Erlöse vor Ort, zweckgebunden, direkt in die Realwirtschaft fließen und nicht nur die derzeit angedachten 20 Prozent. Das ETS darf trotz Schuldenkrise nicht der nationalen Budgetkonsolidierung dienen.

Mit Beginn der dritten Handelsphase wird es EU-weit einheitliche Obergrenzen anstelle von nationalen Zuteilungsplänen geben. Die Mitgliedstaaten sollen auf dieser Basis schrittweise mehr Zertifikate versteigern. Laut Plan erfolgen ab 2027, von Carbon-Leakage-Ausnahmen abgesehen, keine kostenlosen Zuteilungen mehr. Die Kommission beabsichtigt ab 2013, die Zertifikatmenge jährlich um 1,74 Prozent zu verknappen, um bis 2020 die im Kyoto-Protokoll festgelegten Ziele zu erreichen. Auf lange Sicht soll das ETS mit anderen Systemen (vgl. Lieberman-Warner Climate Security Act der USA) verschmelzen. Doch schon die vom ETS umfassten Staaten weisen eine unterschiedliche Kohlenstoffintensität und Wirtschaftskraft auf. Somit lassen sich heterogene Interessen auf globaler, nationaler, sektoraler und unternehmerischer Ebene identifizieren.

Die britische NGO Sandbag etwa empfiehlt eine weitere Revision der Richtlinie 2003/87/EG sowie eine drastische Verknappung der Zertifikate ab 2013 (-2,4 Prozent/Jahr). Bestimmungen zur Mitnahme und Substituierung sollten größtenteils wegfallen, um einen völligen Preisverfall abzuwenden. Doch solange kein internationales Klimaabkommen für die Zeit nach 2012 unterzeichnet ist, sind zahlreiche Fragen, was die praktische Ausgestaltung von ETS und Effortsharing (vgl. Ökologisierung des Steuersystems etc.) betrifft, ohnedies offen. Der VÖWG wird sich weiterhin für eine ausgewogene Chancenverteilung zwischen dem öffentlichen und privaten Sektor einsetzen.

Bild: VKU/Berliner Wasserbetriebe